Valura Suntes Befreiung – Leseprobe

 

Brunorhan – Kapitel 1

Während Dirkan und Maurice sich um den schwerverletzten, bewusstlosen Aaron kümmerten, sicherten Brunorhan und Axel den Rückzugsweg. Nur vereinzelte Wächter wagten den irrsinnigen Versuch, ihnen zu folgen, ganz so wie Brunorhan es erwartet hatte.
Fast zu perfekt.
Ein harmloser Mischling entstammt aus den Genen der eigenen Reihen der Wächter. Dieses Wesen zu erledigen, hat natürlich eine höhere Priorität als Lions.
Das Gesetz des Königs muss eingehalten werden.
Idioten. Abschaum.
Innerlich lachte Brunorhan auf. Die paar erbärmlichen Idioten, die genug Mut besaßen und sich auf einen Kampf mit ihnen einließen, hatten Axel und er schnell erledigt.
Für eine Sekunde betrachtete Brunorhan seine klebrigen Hände, die mit dem braunen Blut von einigen Suntes und dem von Aaron besudelt waren. Er warf einen Blick über seine Schulter. Maurice hatte seine Hand auf Aarons Wunde gelegt, die Augen halb geschlossen, während Dirkan den Wichser in seinen Armen trug. Brunorhan wusste, der getreue Nissam würde alles in seiner Macht stehende tun, um den Jungen vor dem Tod zu retten.
Wenn Aaron jetzt stirbt, sind all die Jahre vergeudet.
Alle Anstrengungen, aus dem Jungen eine Waffe zu machen, hätte ich mir sparen können.
Grollend sah er wieder geradeaus und konzentrierte sich auf den nächsten Schritt.
Goat Island.
„Los Männer, legt einen Zahn zu, ich will so schnell wie möglich am Portal sein.“ Das Gefühl, welches ihn zur Eile drängte, hatte nichts damit zu tun, dass er befürchtete, die Wächter könnten die hiesigen Geschehnisse an die Männer des Königs weiterleiten. Nein, das nicht. Ohne Lions waren die Scheißkerle von Valura abgeschnitten. Es war vielmehr das Gefühl, nach endlosen dreiundzwanzig Jahren auf diesem verfluchten Planeten, nur noch einen Schritt von seiner Heimat entfernt zu sein.
Valura.
Der bittersüße Schmerz der Sehnsucht nach seiner Welt durchstach seine Brust.
Ich habe es bald geschafft.
Bald.
„Wir müssen noch zurück in die Fabrik“, hörte er Maurice´s gepresste Stimme.
Abrupt stoppte er in der Bewegung und fuhr herum. „Weshalb?“. Der Ton mit dem er das Wort aussprach, durchschnitt die Nacht, wie eine Klinge das Fleisch.
„Weil Aaron sonst niemals das Portal erreicht. Wollt Ihr ihn lebend nach Valura mitnehmen? Dann muss ich erst die Blutung stoppen. Ansonsten ist er tot, bevor wir Goat Island erreichen.“
„Mein Fürst, er hat recht“, stimmte Dirkan Maurice zu, und auch Axel der Armleuchter nickte mit seinem Kopf wie ein Wackeldackel auf der Rückablage eines Familienkombis.
Knurrend atmete Brunorhan aus. Es schien ihm, als legte sich eine riesige Pranke um seine Kehle, deren Krallen sich tief in seinen Hals gruben. Unwillkürlich schüttelte er seinen Kopf, um das Gefühl schnellstmöglich loszuwerden. Erfolglos. „Ihr wisst, dass die Wächter dort mit Sicherheit auf uns warten werden.“
Axel prustete los, sein Blick jedoch war kalt und entschlossen. „Sollen sie doch. Ich hab heute noch nicht genug von den Idioten umgebracht.“
Dirkan und Maurice wirkten ebenso entschlossen wie Axel.
Ist das hier eine verfickte Demokratie?
Wann hatten meine Worte die Macht zum Befehligen verloren?
Ein letzter Blick auf Aaron und er wusste, dass sie recht hatten. Er durfte sein Ziel nicht aus den Augen verlieren und nun ungeduldig werden.
Geduld ist der Schlüssel zum Erfolg.
„Also gut. Auf zur Fabrik.“

Dirkan steuerte den SUV schnell durch die nächtlichen Straßen von New York City. Sowie sie um die Ecke des Gebäudeblocks bogen, in dem sich ihre alte Fabrik befand, erspähte Brunorhan bereits die ersten Wächter in ihren schäbigen alten Kombis.
Verdammt – wie viele von diesen Arschlöchern gibt es denn noch?
„Das ist eine Falle“, hörte er sich noch murmeln, als ihr SUV von einer braunen Schrottkarre von hinten gerammt wurde. Dirkan trat das Gaspedal durch und der SUV beschleunigte und schoss durch die Nacht. Nur leider blieb der Wächter ihnen dicht auf den Fersen. Zudem bekam er noch Verstärkung.
Brunorhan drehte sich zu Maurice um, der Aaron stützte, die Hand noch immer auf seine Bauchwunde gepresst. Axel neben ihm wirkte aschfahl um die Nase.
Elender Feigling.
„Maurice, ich hoffe du bist jetzt zufrieden. Vermutlich erreicht keiner von uns das Portal lebend.“
Erneut wurde ihr Wagen von den Verfolgern touchiert und Dirkan verlor beinahe die Kontrolle. Der SUV schlingerte über die Straße auf die Seite des Gegenverkehrs. Sein Freund zog die Handbremse an und sie legten einen Drift über den Asphalt hin, der seinesgleichen suchte. Von dem Manöver überrascht, krachte einer ihrer Verfolger in einen Lastwagen, der ihnen entgegenkam.
„Einen wären wir los“, lachte Dirkan und beschleunigte erneut. Er bog mehrmals scharf rechts, dann links ab und auch der zweite Wächter verlor die Kontrolle über das Auto und schleuderte in einen Brückenpfeiler. „Das wäre dann wohl erledigt, mein Fürst.“
Axel atmete hörbar erleichtert auf und auch Brunorhan entspannte sich wieder. Sie erreichten das alte Fabrikgelände und fuhren den SUV in die Garage.
Wie immer um diese Uhrzeit tummelten sich einige ihrer Nutten im Haus herum, in der Hoffnung mit dem einen oder anderen von ihnen das Bett teilen zu können. „Verpisst euch“, zischte Brunorhan den Weibern verächtlich zu und sie beeilten sich, den Raum zu verlassen.
Dirkan und Axel schleppten Aaron derweil ins Wohnzimmer, während Maurice in sein Zimmer verschwunden war, um etwas für den Verletzten zu holen.
Im nächsten Moment raubte ein ohrenbetäubender Krach Brunorhan die Sinne und ein harter Schlag drückte ihn zu Boden. Der Krach hinterließ in seinen Ohren ein schrilles Sirren und sein Kopf war benommen. Minutenlang war das Jetzt und Hier, sein Ziel, Valura, bedeutungslos. Stöhnend kam er wieder zu sich, in seinem Kopf schien ein Vorschlaghammer zu hämmern.
„Hol Lions.“
„Was ist mit dem Verletzten, Wendelin sagte…“
„Halt deine Schnauze. Es ist mir egal, was Priester Wendelin sagt. Wir brauchen die Kette um das Portal zu aktivieren. Der Mann hat für uns keine Bedeutung.“
„Aber Wendelin sagte…“
„Hast du mich nicht verstanden?“ Die Stimme wurde wütender. „Hol Lions. Unsere Aufgabe ist es Valura zu schützen und nicht den Verbrechern zu helfen.“
Ein schmaler junger Mann mit ausdruckslosen Augen, tauchte über Brunorhan auf. Weiß wie die Wand und der Gestank der Angst floß aus jeder seiner Poren. Hastig fingerte der Typ an seiner Kleidung herum.
Der will Lions.
Nicht mit mir.
Benommen und doch von der Befürchtung getrieben, kurz vor seinem Ziel zu scheitern, aktivierte Brunorhan seine Kräfte. Er packte den Wicht an den Handgelenken, welcher unter seinem Griff quiekte wie ein kleines Ferkel auf der Schlachtbank. Angewidert knurrte Brunorhan und donnerte ihm seine Faust mehrmals ins Gesicht, sodass der Wicht bewusstlos zu Boden ging.
Ohne Zeit zu verlieren, stürzte er sich auf den nächsten Eindringling. Mit Vergnügen ließ er ihn seine Fäuste spüren und genoss es, als dieser stöhnend nach hinten kippte. Mit einem kräftigen Tritt gegen den Schädel, erlegte er nun auch diesen Wächter fast mühelos. Niemand würde ihn kurz vor seinem Ziel aufhalten.
Niemand.

Als sich der Tag dem Abend neigte, setzte leichter Schneefall ein. Je näher sie Goat Island kamen, desto mehr entwickelte sich das leichte Schneegestöber zu einem ausgewachsenen Blizzard. Was zumindest den Vorteil hatte, dass sie die letzten einhundert Meilen fast alleine auf der Straße waren.
Seitdem sie die alte Fabrik verlassen hatten, hielt Brunorhan Lions fest in der Hand. Obwohl er die feinen Glieder der Kette und die kühlen Edelsteine des Anhängers auf seiner Haut fühlte, schielte er immer wieder darauf.
Nur zur Sicherheit.
Die Steine haben geleuchtet, als Kreitz Tochter sie getragen hatte – oder täuschten mich meine Augen.
Seine Faust umschloss bei diesem Gedanken Lions fester und er schloss für einen Moment die Augen.
Maurice war ganz bleich, seine Augen, mit dem Blick voller Angst, klebten regelrecht an Veronika.
Weshalb?
Er öffnete die Lider und seine Faust, betrachtete erneut Lions.
Weshalb hatte der Nissam bei diesem Anblick Angst?
Sie erreichten die Stadt Niagara Falls bei Einbruch der Dunkelheit. Nun mussten sie nur noch die American Rapids Bridge überqueren und anschließend ging es zu Fuß weiter.
Wenigstens werden bei diesem Wetter keine Menschen auf Goat Island sein.
Brunorhan wandte sich erneut zu Axel, Maurice und Aaron im Fonds um. „Wir sind gleich da.“
Sein Blick blieb auf Aaron hängen. Dessen Haut war weiß wie der Schnee und sein Pullover von seinem Blut durchtränkt. Maurice konnte zwar die Blutung stoppen, dennoch standen die Überlebenschancen des Jungen schlecht.
Eine dreiviertel Stunde später parkte Dirkan den Wagen auf dem Parkplatz auf Goat Island. „Sie haben ihr Ziel erreicht“, spöttelte Dirkan. „Jungs, wir sind bald zuhause.“ In der Stimme seines besten Freundes schwang plötzlich ein aufgeregt freudiger Ton mit.
Aus Dirkans Mund klang dies so seltsam, dass Brunorhan ihn einige Minuten schweigend musterte, bevor er ausstieg. Doch sobald er seinen Fuß auf den Boden von Goat Island setzte, begann es in der Mitte seiner Faust zu kribbeln.
Dirkan half Maurice und Axel, Aaron aus dem SUV zu hieven. Von Brunorhan nahm keiner Notiz, dennoch drehte er seinen Begleitern den Rücken zu und betrachtete Lions in seiner Hand.
Ist das ein schwaches Leuchten?
Angestrengt blinzelte er, den Blick auf den Edelsteinanhänger in seiner nur leicht geöffneten Hand gerichtet.
Ja.
Es flackert schwach.
„Wir sind soweit mein Fürst“, durchbrach Dirkans Stimme seine Gedanken.
Schnell schloss er seine Faust und drehte sich zu ihnen um. Sie waren bereit das letzte Stück zum Portal zurückzulegen.

Zielstrebig legten sie den Weg zum Portal zurück. Schneller als er angenommen hatte, fanden sie die beiden fast zwei Meter großen Steinfelsen mit gravierter Inschrift, welche nur knapp zwei Meter auseinanderstanden. Brunorhan kam es vor, als würde Lions magisch von den Steinen angezogen werden. Mittlerweile fühlte sich der Anhänger kochend heiß in seiner Faust an. Er wagte es nicht nachzusehen, ob das Leuchten intensiver geworden war.
Die Felsen erhoben sich in die Dunkelheit, umringt von einigen Bäumen. Axel und Maurice hielten den Atem an und auch Dirkan verstummte, als sie direkt davor standen. Niemand bemerkte, dass Brunorhans Faust bebte und ohne irgendwelches zutun aktivierte sich das Portal. Die Luft zwischen den Felsen schien erst zu wabern und dann sahen sie hindurch, wie durch ein Fenster auf die andere Seite.
Dort lag ebenfalls Schnee und eine eisige Brise traf Brunorhans Gesicht. Tief sog er den Geruch des Nadelwaldes der unfreundlichen Bergwelt von Valura ein und füllte damit seine Lungen, fast so, als könnte er diesen so ureigenen Duft für immer speichern.
Endlich. Nach so langer – unendlich langer Zeit.
Nur widerwillig atmete er wieder aus.
Die Zeit ist gekommen.
Er drehte sich zu Axel um, fixierte die hellgrauen Augen seines leiblichen Sohnes. „Du weißt was zu tun ist?“
Axel nickte, übergab seine Seite von Aaron an Dirkan und nahm anschließend seinen Rucksack ab. Schnell hatte er das Dynamit ausgepackt und platzierte die Sprengladungen an allen Seiten der Felsen.
Ein Jammer um den schönen Anblick der Steinformation.
Allerdings war dies ein hinzunehmender Kollateralschaden auf seinem Weg zurück nach Valura. Niemand sollte ihnen jemals folgen können.