Die Kanzlei Gefährliches Vertrauen – Leseprobe

 

Prolog

668 Jahre früher

Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben, als bestünden die Tropfen aus Kieselsteinen. Hart und laut schlugen sie gegen das Glas, das trotz allem diesem Angriff standhielt. Nachdenklich betrachtete Erebos die Laune der Natur. Auch er hatte Oskars Angriff standgehalten und seither nahm ihn eine schier lähmende Fassungslosigkeit ein. Wie konnte sein Sohn es nur wagen? Es war eine mehr als unüberlegte Handlung seines Ältersten, eine Handlung, für die dieser eigentlich den Tod verdiente. Eigentlich.
Das Läuten des Telefons beschleunigte den Puls des jahrtausendealten Vampirs – es war so weit. Seine Hand zitterte, als er nach einigen Sekunden nach dem Hörer griff. Sein Mund war schlagartig staubtrocken und er verspürte einen unbeschreiblich starken Durst. Mit zusammengepressten Kiefern atmete Erebos mehrfach tief ein und aus, ermahnte sich dabei stumm zur Ruhe. „Hallo“, meldete er sich und seine Stimme klang trotz der Heiserkeit scharf.
„Eminenz, Sie können nun zu ihrem Sohn“, teilte Dr. Cameron James mit und obwohl dieser offenbar mit aller Macht versuchte, seine Nervosität zu verbergen, konnte Erebos diese deutlich aus seinen wenigen Worten heraushören.
Ein flüchtiges Schmunzeln überflog seine Lippen. Ganz hatte er den Respekt seines Volkes nicht verloren, obwohl Oskar tobte wie ein Berserker. Erebos Leibgarde hatte erhebliche Verluste erlitten, als diese versuchten, seinen Sohn in Schach zu halten, damit er sich selbst in Sicherheit bringen konnte. Nun stand er vor den Untertanen da, wie ein Feigling und dies würde ihm Oskar noch bitter bezahlen. Wütend ballte er seine freie Hand zur Faust. „Ich komme“, antwortete er kalt. Als er den Hörer zurück auf das Telefon gleiten ließ, nahm der Sturm draußen an Stärke zu und der Himmel entlud sich über dem Kanzleigebäude in einem ohrenbetäubenden Donner.

Mit einem leichten Anflug von Genugtuung betrat Erebos trotz allem den geschlossenen Trakt des Heilsanatoriums. Das dumpfe Geräusch, als die Eisentür hinter ihm zufiel und die letzten leisen Geräusche der wütenden Natur erstickte, klang fast wie Musik in seinen Ohren. Gedankenverloren folgte er den tristen Gängen. Gerne hätte er gesehen, wie seine Ärzte es schafften Oskar zu überwältigen. Seine Schritte auf den dunklen Steinfliesen hallten von kahlen grauen Wänden. Alle paar Meter befand sich eine metallene, weißlackierte Tür, die diesen Teil des Sanatoriums wie ein Gefängnis aussehen ließ.
Der scheinbar endlose Gang machte eine erneute Biegung und im nächsten Augenblick erreichte er das Zimmer, in das Oskar gebracht wurde. Einige Minuten innehaltend starrte er auf die Tür und spürte, wie abgrundtiefer Hass das Blut in seinen Adern zum Überkochen brachte. Sein groß gewachsener Körper begann zu beben, als er das Zimmer betrat und sich darin argwöhnisch umsah, bevor er näher an das spärliche Bett herantrat. Dabei fiel sein Blick auf Oskar, der schlafend und an Händen und Füßen mit dem härtesten Eisen gefesselt da lag. Ausgeliefert und im Moment völlig schutzlos.
Erebos Augen glitten über seine strammen Beine, das vor Manneskraft strotzende Becken, den durchtrainierten Oberkörper und die massigen Oberarmmuskeln hinauf. Sein Sohn war eine Kampfmaschine, sein Meisterwerk, von ihm geschaffen, um zu töten. Allein Oskars Anblick versetzte die Feinde der Monrachs in Angst und Schrecken. Schwer atmete Erebos aus. Wie konnte sich Oskar plötzlich gegen ihn stellen? Ihn aus heiterem Himmel angreifen? Seine bisher heile Welt war seit einigen Stunden aus den Fugen geraten und verbittert stellte er die Loyalität seines eigenen Fleisch und Blutes infrage.
„Oskar, du hast von dem Blutbastard getrunken“, begann er leise und rümpfte angewidert die Nase. „Der Wahnsinn des Mädchens ist auf dich übergegangen.“ Der Blick des Vaters wanderte nun weiter über Oskars Gesicht. Er schlief und doch zeichnete sich darauf der Kampf in seinem Innersten ab. Deutlich konnte er den Hass und den Schmerz der vergangenen Jahrhunderte in den Gesichtszügen erkennen. „Du gehörst mir, Oskar. Du bist mein Sohn, mein Soldat. Ich werde dich nicht freigeben. Niemals.“
Väterlich legte er für einen Moment seine rechte Hand auf Oskars Stirn bevor er ihm durch die dunklen, dichten Haare strich. Das war das Einzige, was ihn und seinen Bruder Nithard miteinander verband. Die Haare. Sonst glichen seine beiden Söhne Tag und Nacht, Himmel und Hölle. Doch im Gegensatz zu Nithard war Oskar schwieriger zu steuern. Sein Wille war kaum zu brechen. Erebos musste bei ihm andere Geschütze auffahren um ihn unter Kontrolle zu halten. Oskar vereinte tatsächlich Himmel und Hölle in sich. Fast bedauerte Erebos das, was sein Sohn nun ertragen musste. Aber nur fast.

Einige Tage später

Das Wetter beruhigte sich im Laufe der nächsten Tage und der Regen wich strahlendem Sonnenschein. Es schien, als wollte die Natur Erebos verdeutlichen, dass es noch Hoffnung für Oskar gab. Allerdings bezweifelte er dies mittlerweile sehr. Er musste sich allmählich entscheiden. Musste sein Sohn sterben oder durfte er weiterleben?
Angespannt betrat Erebos, das Büro neben dem Krankenzimmer seines Sohnes. In dem ein groß gewachsener, sportlich wirkender Vampir, mit schulterlangen, blonden Haaren bereits auf ihn wartete.
„Eure Hoheit“, übertrieben tief verneigte sich Dr. Cameron James. „Welche Ehre für mich.“ Breit grinsend erhob er sich und sah Erebos an.
Dieser hob nur gelangweilt die Hand. „Dr. James, richtig?“ Der Vampir nickte bestätigend. „Wie sieht es aus“. Erebos wandte seinen Blick zur Glaswand, durch die er Oskar sehen konnte. Dieser saß gefesselt auf einem Stuhl und schrie sich gerade die Seele aus dem Leib.
Der Gesichtsausdruck des Arztes wurde ernst, das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht. Er atmete tief durch, bevor er seinem Herrscher antworten konnte. „Eminenz, Ihr Sohn ist ein sehr starker Mann mit einem unglaublich starken Willen.“
„Erzählen Sie mir etwas, dass ich noch nicht weiß“, antwortete Erebos ungeduldig.
„Natürlich. Nur ist es bei Oskar nicht so einfach, seine geistige Verwirrung zu heilen. Bislang schlägt die Therapie nicht an.“
Erebos Gesicht verfinsterte sich. „Und das bedeutet?“, fauchte er zornig. „Können Sie mir meinen Sohn zurückbringen oder nicht? Kann dieser Mann vor uns weiterleben oder ist er zu einer unkontrollierbaren Gefahr geworden, die vernichtet werden muss?“
Dr. James hielt für einen Moment den Atem an und schluckte schwer. „Ich werde alles in meiner Macht stehende tun und es versuchen, Herr. Nur müsste ich dazu zu anderen, intensiveren Mitteln greifen.“ Erebos Blick wurde misstrauisch. Nervös fuhr der Arzt fort. „Es gibt Studien, bei denen das Krankheitsbild durch die Verabreichung von Mesvamkalin und gleichzeitiger Stimulation des Gehirns durch Schmerz geheilt wurde.“
„Was ist Mesvamkalin? Davon habe ich noch nie etwas gehört.“
Nun kam das selbstgefällige, bereite Grinsen auf das Gesicht von Dr. James zurück. „Es ist ein neuartiges Medikament, mit der Wirkung einer Droge. Damit werden starke Halluzinationen hervorgerufen. Laut den Studien lassen sich mit diesem Mittel, kombiniert mit Schmerz, psychische Absonderheiten wie die an der ihr Sohn leidet, kontrollieren und in manchen Fällen sogar heilen. Bei Erfolg der Therapie wäre er wie neugeboren und eine verbesserte Version von sich.“
„Können Sie das garantieren? Ich fände es sehr bedauerlich, wenn ich mich seiner entledigen müsste.“
Es blitzte in den grünbraunen Augen auf. „Ja, wenn sie mir freie Hand lassen und Geduld haben. Oskar wird nicht von heute auf morgen genesen. Es wird ein langer und sehr schwieriger Weg. Auch Rückschläge können nicht ausgeschlossen werden.“
„Tun Sie, was Sie tun müssen. Ich gewähre Ihnen freie Hand. Ich will nur täglich unterrichtet werden.“
Freudig klatschte Dr. James die Hände zusammen. „Wie Ihr wünscht mein König.“

Kapitel 1

New York City, 17. Juni

– Oskar –

Fanny wurde für Sie geboren. Sie ist die zweite Hälfte Ihrer Seele. Haralds Sommers Worte hallten in meinen Gedanken nach. Sie war nun seit vierundzwanzig Stunden meine Sklavin und ich hatte den Großteil dieser Stunden mit ihr zusammen verbracht, da ich sichergehen wollte, dass sie keine Dummheiten macht. Wir wechselten kaum ein Wort und die Stille, die ihre bloße Anwesenheit über mich legte, hatte etwas Beruhigendes. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit legte sich der Sturm in meinem Inneren. Ich fühlte sie in mir und dies allein nährte meine Kraft. In mir wuchs die Sicherheit, dass meine Ziele in greifbarer Nähe waren. Die Frau zu behalten, war die einzig richtige Entscheidung.
Ich blickte von den Unterlagen hoch und sah zu Fanny hinüber. Sie saß gedankenversunken in der Ecke und sortierte einige Akten. Hin und wieder hörte ich sie schluchzen. Sie führte gerade einen sehr amüsanten Kampf mit sich selbst. Fanny musste lernen zu akzeptieren, dass ich ihr Herr war. Doch jede ihrer Zellen schien sich der Tatsache zu versperren, dass sie nun unwiderruflich mir gehörte. Ihre Seele, ihr Ich, weigerte sich, das anzuerkennen und das, obwohl sich tief in ihr die Gewissheit bereits verankert hatte, dass es für sie keine Rettung gab, außer den Tod. Dennoch brannte das widerspenstige Feuer in ihr weiter. Sie weigerte sich aufzugeben und war nicht bereit sich mir bedingungslos zu unterwerfen. Daher kämpfte sie mit aller Kraft dagegen an. Hoffnungslos und verzweifelt.
Wie konnte ich die Ähnlichkeit zu Gabriella solange nicht sehen? Es ist so offensichtlich. Ein merkwürdiges Gefühl erfasste mich. Es war, als hätte mein Herz einen Sprung nach vorne gemacht und sich plötzlich entschieden, aktiv in meine Existenz einzugreifen. Es traf mich unvorbereitet und überraschend, daher folgte ich dem ersten Impuls und kämpfte dagegen an. Ich wusste nicht, ob ich das zulassen sollte.
Wenn sich unsere Blicke trafen, sah ich Traurigkeit und einen bitteren Vorwurf in ihren blaugrünen Augen. Zu recht, denn ich hatte ihr jede Möglichkeit genommen, ihre Familie jemals wieder zu sehen. Doch mit der Zeit würde sie verstehen, dass dies ebenfalls das einzig Richtige war, um die Sicherheit ihrer Verwandten zu gewährleisten. Ich gewährte ihr entgegen meiner Art Gnade. Jetzt war es noch eine Strafe, doch zu einem späteren Zeitpunkt würde sie die Wahrheit erkennen und mir dankbar dafür sein. Denn sollte irgendjemand herausfinden, wer sie wirklich war, dann war nicht nur sie selbst, sondern alle, die ihr nahe standen in Gefahr. Sollte ihre Abstammung jemals ans Licht kommen, würde ich – ebenso wie sie – alles verlieren.
Tief atmete ich ihren Geruch ein, der die Luft im Raum dominierte und hielt ihn einige Sekunden fest, bevor ich wieder ausatmete. Ich genoss das Brennen in meiner Kehle, die Folter, die der unvergleichliche Duft nach Rosen gemischt mit Kirschen mir bereitete. Nur schwer konnte ich die aufsteigende Blutgier beherrschen. Doch gleichzeitig spürte ich die Macht, die sie mir verlieh und ließ mich darin treiben.

Jäh wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als plötzlich die Tür krachend gegen die Wand schlug. Erebos kam hereingestürmt, seinen Stock drohend in der Hand. Sofort verschwand die erholsame Stille, während der Sturm in meinem Inneren erneut aufbrauste. Fanny zuckte erschrocken zusammen. Mit weit aufgerissenen Augen und kreidebleich starrte sie meinen Vater panisch an. Ich erhob mich und stellte mich zwischen ihn und meine Sklavin, um sie vor seinem Blick zu schützen. „Was verschafft mir die Ehre, Vater?“ Es überraschte mich, wie ruhig ich die Frage über die Lippen brachte.
„Was tut sie hier?“, fauchte er verächtlich und deutete mit seinem Stock auf sie.
„Akten sortieren“, antwortete ich knapp und sah über Erebos Schulter hinweg, wie sich Nithard vor der Tür herumdrückte. Mieser Feigling. Gerade so konnte ich ein Knurren unterdrücken, dass sich aus meiner Kehle kämpfen wollte. Fannys rasender Herzschlag hallte von den holzvertäfelten Wänden wider. „Was willst du, Vater?“
Seine eisgrauen Augen fixierten mich und er musterte mich einige Minuten schweigend. Erneut legte sich Stille über mich, allerdings nicht die ruhige, angenehme von vorhin. Diese war erdrückend und mit jeder Sekunde die verging, schien sie sich negativ aufzuladen und nur darauf zu warten, in einem gewaltsamen Akt der Zerstörung explodieren zu können. Genau darauf ist mein Vater aus. „Weißt du Oskar“, begann er schließlich und ein fast freundliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Ich dachte Nithard erlaubt sich einen Scherz mit mir, als er erzählte, dass Dominik Baylon deine Assistentin in unser Haus brachte.“ Er begann vor mir hin und her zu wandern, während er seinen Stock immer wieder in seine rechte Handfläche schlug und diese das Folterwerkzeug sofort wieder freigab. „Zumal sämtliche Zeitungen darüber berichten, dass sie tot ist.“ Einen Moment lang schüttelte er den Kopf und lachte kurz auf. „Ich dachte schon, du wärst wieder zur Besinnung gekommen und hättest deine absonderliche Obsession für diese Frau endlich überwunden. Doch nun …“, seufzend atmete er aus und betrachtete mich mit sorgenvollem Blick.
Ich presste fest die Kiefer zusammen und sog scharf die Luft ein. Obsession. Er hat ja keine Ahnung – den Göttern sei Dank. Ich warf einen kurzen Blick über meine Schulter und sah, dass Fanny mittlerweile zitterte wie Espenlaub. „Wie ich dir bereits in Berlin sagte, ist Fanny meine Angelegenheit und ich verfüge über sie, wie ich es will.“ Meine Stimme ließ sie erneut zusammenzucken. Jedes Wort schien sie zu peinigen.
Verständnislos legte Erebos seine Stirn in Falten. „Was hast du nur mit dieser Frau? Und warum bei den Göttern hast du sie für tot erklären lassen?“ Er machte eine theatralisch ausladende Geste. „Ist dir bewusst, dass sie nun nicht mehr zurück zu den Menschen kann.“
Mein Vater war ein großartiger Schauspieler. Man konnte ihm fast abkaufen, dass er sich um Fanny sorgte. Boshaft lachte ich auf. „Vater, ich bitte dich. Als wenn je ein Mitarbeiter zurück in sein Leben könnte, nachdem sein Nutzen für uns hinfällig geworden ist. Du weißt so gut wie ich, dass kein Mensch lebend die Kanzlei verlässt.“
Die eisgrauen Augen verengten sich. „Was hast du dir dabei gedacht?“
Ungerührt hielt ich seinem vor Wut sprühenden Blick stand. „Ich habe sie bestraft. Das ist alles“, antwortete ich kalt.
„Bestraft?“ Nun riss Erebos der Geduldsfaden. „Und darf ich bitte erfahren weswegen?“
„Sie hat einen Fehler begannen und ich dulde keine Fehler.“
Verärgert schüttelte mein Vater seinen mittlerweile hochroten Kopf. „Einen Fehler? Normalerweise tötest du die Leute die Fehler machen, ohne nachzufragen. Also zum letzten Mal: Weshalb lebt sie noch?“, schrie er ungehalten. Endlich wurde seine Fassade gesprengt und mein Vater zeigte sein wahres Gesicht. Darin konnte man nur noch eines lesen: Den Hass, den er in Wahrheit für mich empfand.
„Weil ich es so will“, ein süffisantes Grinsen umspielte meine Lippen. „Damit ist alles gesagt. Du entschuldigst mich, ich habe noch eine Menge zu tun.“ Ich wandte mich von ihm ab, um endlich weiterzuarbeiten.
„Ich entscheide, wann wir fertig sind, Oskar.“ Seine Hände begannen zu beben, er richtete seinen Stock auf mich und kam damit auf mich zu. Automatisch machte sich mein Körper kampfbereit. „Weil du es willst. Schön, mal sehen wie weit dein Wille dich bringt.“ Er betrachtete Fanny erneut voller Abscheu. „Wie willst du ihre Anwesenheit vor der Gesellschaft rechtfertigen?“
„Messe ihr nicht mehr Bedeutung bei, als sie verdient, Vater. Sie ist mein Spielzeug, nichts weiter. Die Gesellschaft wird sich nicht an ihr stören, solange du nicht viel Aufhebens um sie machst. Es gibt genügend Vampire innerhalb der Gesellschaft, die sich Menschen als Sklaven halten.“ Kaum hatte ich den Satz ausgesprochen, glaubte ich Fanny leise ächzen zu hören. Jedenfalls hatte sich jeder einzelne ihrer Muskeln verkrampft.
„Blutsklaven“, brüllte mein Vater los. „Soll das heißen, dass du plötzlich deine Aversion gegen menschliches Blut abgelegt und deine Trinkgewohnheiten geändert hast?“ Die grauen Augen schienen mich zu röntgen.
Fest presste ich die Kiefer zusammen und meine Miene wurde zu einer harten, grinsenden Maske. „Natürlich nicht“, spie ich ihm entgegen und schlagartig kam dieser Hass auf Fanny zurück. Sie wird mich zu Fall bringen.
„Also was willst du mit ihr? Soll sie die nächsten achtzig Jahre deine Akten sortieren?“
„Selbst wenn geht es niemanden etwas an, Vater.“
„Du machst dich lächerlich. Du machst uns lächerlich. Ich rate dir, genau auf deine Angelegenheit aufzupassen und dich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Du könntest in einen Abgrund stürzen, aus dem du dich nicht retten kannst.“
„Sei unbesorgt Vater, dass habe ich nicht vor.“
„Wirklich? Ich dachte, als du den Sitz im Richterrat verloren hast, bringt dich das zum Nachdenken, doch bedauerlicherweise irre ich mich ganz offensichtlich. Ich werde deine Position erneut überdenken müssen.“
Dieser Arsch will mich weiter öffentlich demütigen, weil ich mich ihm nicht beuge und wegen Fanny. „Bitte, tu was du nicht lassen kannst.“
Erebos machte eine Bewegung auf mich zu und berührte mit seinem Stock meine Brust. Ich spürte sogleich die Elektrizität auf meiner Haut tanzen, doch der Schmerz blieb unerwartet aus. Ungläubig musterte Vater mich und seine Augen gingen über vor Zorn. „Ich behalte deine Angelegenheit im Auge und Gnaden dir all unsere Götter, wenn sie auch nur den geringsten Fehler macht.“
Als Erebos uns schließlich verlassen hatte und die Tür hinter ihm krachend ins Schloss gefallen war, stieß ich einen wütenden Schrei aus. Ich brüllte Fanny all meinen Zorn und Hass entgegen. Verschloss mich dem Gefühl von vorhin. Mein Herz und dieses merkwürdige Gefühl konnten mich mal kreuzweise. Niemals würde ich zulassen, dass ich wegen ihr alles verliere. Egal wer sie war. Fanny würde sterben, bevor es soweit kam.

– Fanny –

Monrachs Gebrüll trug all seinen Zorn und Hass zu mir herüber und ließ das Blut in meinen Adern gefrieren. Er machte mich für den Auftritt seines Vaters und dessen Demütigungen verantwortlich und nun würde er mich dafür büßen lassen. Das markant männliche Gesicht hatte sich verfinstert und in den dunkelbraunen Augen brannte das Höllenfeuer. Ihr Blick schien mich zu verbrennen und mir wurde plötzlich bewusst, dass die letzten vierundzwanzig Stunden die schönsten in meinem neuen Leben gewesen waren und nun würde sich das für immer ändern.
Wutschäumend griff er zum Telefon und schlug regelrecht auf die Tasten ein. „Franko, bringen sie mir Miss Bauer. Wir treffen uns in einer Stunde im Steinsaal“, befahl er und schlug mit der Faust auf seinen Tisch, während er den Hörer zurück auf das Telefon knallte.
Angela! Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was er mit ihr vorhatte. Doch die Vorfreude, die sich in ihm nun ausbreitete, sagte mir, dass er sie töten würde. Mir wurde übel und eine Träne kullerte unweigerlich meine Wange hinab. Schnell wischte ich sie mit zitternder Hand fort. Ich muss etwas tun! Angetrieben von diesem aussichtslosen Gedanken ging ich mit weichen Knien auf Monrach zu. „Sir“, begann ich und ein Blick in seine Augen ließ mich abrupt verstummen. Er kannte mein Anliegen, noch bevor ich es ausgesprochen hatte. Er fühlte meine Verzweiflung und es berührte ihn nicht. Mit nur einem einzigen Blick schmetterte er mein Flehen ab. Den Entschluss Angela zu töten hatte er bereits getroffen. Unwiderruflich. In seinen Augen war sie eine Verräterin und nichts konnte sie retten. Ich biss mir auf die Lippen und taumelte zurück zu den Akten, die ich sortieren sollte.
Exakt eine Stunde später läutete das Telefon auf seinem Schreibtisch. Das Klingeln hörte sich schrill an in meinen Ohren und schien meine Nerven zu zerreißen. Er hob ab und meldete sich nur mit einen knappen „Ja“. Sein Blick schnellte zu mir und hielt mich gefangen. Nickend legte er auf. „Es wird Zeit, Kleines.“
Ängstlich erwiderte ich seinen Blick. Er würde mich nicht hier lassen. Er will, dass ich ihn begleite und zusehe. Jedes Gefühl wich aus meinem Körper und ich war unfähig aufzustehen. „Bitte Sir, tun Sie das nicht“, bettelte ich ihn an. Vergeblich.
Er begann diabolisch zu grinsen. „Oh Kleines, ich sagte dir bereits, dass du von mir keine Gnade erwarten sollst. Dass dein Vater lebend abreisen durfte, war mehr als ein Entgegenkommen meinerseits.“ Erbarmungslos hievte er mich auf die Beine und zerrte mich mit sich.
Wir gingen den scheinbar endlosen weißen Gang entlang. Die Umgebung war mucksmäuschenstill und niemand kam uns entgegen. Es schien, als würde die Welt sich vor Monrach und seinem Zorn verstecken. Das Herz pochte mir bis zum Hals und alles in mir zog sich mit jedem Schritt zusammen. Ich musste plötzlich an den Abend denken, an dem ich mit Angela die Kanzlei durch den Geheimgang verlassen hatte. Du musst sein Vertrauen gewinnen, hörte ich Angelas Stimme in meiner Erinnerung. Der Geheimgang ist zu wichtig. Meine Freunde konnten ihn bislang verbergen.
Verzweifelt riskierte ich einen Blick zu Monrach, der seine freie Hand immer wieder zur Faust ballte. Er gierte danach, ein Leben auszulöschen. Panisch kniff ich die Augen zusammen, um gegen das Grauen anzukämpfen, das mich zu überfluten begann. Jede Faser meines Körpers fühlte sich an, als wäre sie zum Zerreißen gespannt. Unbewusst kaute ich auf meiner Unterlippe herum und versuchte die Panik zu kontrollieren. Klar zu denken. Vielleicht kann ich ihn doch umstimmen und Angela retten. Wie ein Ertrinkender klammerte ich mich an diesen Gedanken. „Sir“, flüsterte ich. „Sie wollten doch wissen, wo ich an dem Abend hingegangen bin, als ich betrunken war.“
Ohne stehen zu bleiben, musterte er mich intensiv aus den Augenwinkeln heraus, schnaubte verächtlich und schüttelte missbilligend den Kopf. „Ich hatte dir mehr als eine Gelegenheit gegeben, mir die Wahrheit zusagen. Diese Chance hast du bewusst verstreichen lassen.“
„Ja ich … ähm …“, stammelte ich hilflos.
„Hör auf“, unterbrach er mich barsch. „Ich gewähre Verrätern keine Gnade.“
Ich schluckte schwer, die Endgültigkeit, die in seinen Worten mitschwang, raubte mir für einen Augenblick den Atem. Es ist sinnlos. Ich kann ihn nicht aufhalten. Die Erkenntnis legte sich wie eine eiserne Hand um mein Herz und plötzlich schien die Welt um mich herum in ein herzloses Grau getaucht zu werden. Ich stolperte mit halb geschlossenen Augen neben ihm weiter den Weg entlang.
Durch meine Verzweiflung hindurch hörte ich plötzlich eine glockenhelle Stimme, fremd und doch irgendwie vertraut. Nichts ist sinnlos, du darfst niemals aufgeben Prinzessin. Kämpfe für das Richtige. Ich erinnerte mich daran, diese Stimme früher als Kind in meinen Träumen gehört zu haben, bevor die Albträume stärker wurden. Tief luftholend riss ich die Augen auf und sah über meine Schulter. Wir waren noch immer allein. Die Stimme war nur in meinem Kopf.
Ich sah zu dem Mann neben mir auf, dem Monster, dass mir alles genommen hatte. Zu dem Vampir, der in mir das Gefühl von Vollständigkeit auslöste, wenn er mein Blut trank. Mein Puls raste. „Wir haben die Kanzlei durch die Tiefgarage verlassen“, gestand ich ihm flüsternd. Es platzte aus mir heraus und es ihm endlich zu sagen war, als würde mir eine schwere Last von den Schultern genommen werden.
Abrupt blieb Monrach stehen und deutlich konnte ich durch seinen schwarzen Anzug hindurch erkennen, wie er seine Schultern straffte und sich seine Muskulatur verspannte. Seine fest aufeinandergepressten Kiefer knirschten „Wie?“, presste er bösartig hervor.
Mist! Hätte ich bloß nichts gesagt. Ich atmete nur noch stoßweise und viel zu schnell. „Es gibt einen Geheimgang.“
Grob packte er mich an den Oberarmen, wirbelte mich herum und in der nächsten Sekunde spürte ich die kalte, harte Wand im Rücken. „Du lügst“, fauchte er mich boshaft an.
Ich war machtlos gegen die Tränen, die mir nun blitzschnell in die Augen schossen und sich ihren Weg über mein Gesicht bahnten. Resigniert gab ich auf und schloss die Augen. Wenn ich ehrlich war, war ich mir gar nicht sicher, dass ich mich noch an den Weg zum Geheimgang erinnerte.
Minutenlang hielt er mich gegen die Wand gedrückt und stierte mich zornig an. „Zeig mir den Geheimgang“, forderte er mich schließlich auf. „Und wehe du verarscht mich.“
Panisch nickte ich und konnte kaum noch klar denken. Mein Körper zitterte und meine Hände trieften vor Schweiß. Das Blut rauschte in meinen Ohren und dämpfte nun jedes andere Geräusch. Grob zerrte er mich weiter in den Steinsaal, wo Kommandant Dan Franko mit Angela auf uns wartete. Sie war an ihren Händen gefesselt und hatte tiefe dunkle Augenringe. Die strahlende Aura die Angela gewöhnlich umgab, war verschwunden. Sie wirkte blass und erschöpft.
Nervös sah ich Monrach an. Er wollte doch, dass ich ihm den Gang zeige? Er beachtete mich nicht und schritt weiter auf Angela zu. „Miss Baur, willkommen zu Ihrer Hinrichtung. Sie dürfen Fanny danken, sie hat Ihnen soeben einen kleinen Aufschub verschafft.“ Dan Franko sah leicht verwirrt zwischen mir und ihm hin und her. „Fanny will mir das Geheimnis des Widerstandes verraten, wie sie unerkannt das Gebäude betreten können.“
Angela riss entsetzt die Augen und sah mich vorwurfsvoll an. „Fanny, nein! Du hast es mir versprochen.“ Betreten sah ich zu Boden. Sie hat recht. Ich breche mein Versprechen. Mir wurde erneut übel und alles begann sich zu drehen. „Tu es nicht. Du kannst mich nicht retten.“
„Da muss ich Ihnen recht geben, Miss Baur. Fanny wird Sie nicht retten.“ Erneut zog er grob an meinem Oberarm und mich näher zu sich. „Aber sie kann sich ihr eigenes Leben etwas leichter machen und sich für den Moment meine Gunst erhalten.“ Dämonisch grinsend zerrte er mich hinüber zu den Aufzügen und schubste mich hinein, sobald die Tür die Kabine freigab. Ich drückte mich in die hinterste Ecke und traute mich kaum zu atmen.

Der Aufzug hielt nach wenigen Augenblicken in der Tiefgarage und ich folgte Monrach. Ich sah mich um, versuchte mich an den Weg zu erinnern. Doch die Erinnerung war durch den Alkohol undeutlich und verschwommen. Es sah anders aus. Ratlos schüttelte ich den Kopf. Er packte mich ungeduldig am Nacken und zwang mich ihn anzusehen. „So und nun? Wo ist nun dieser Geheimgang?“, seine Stimme klang zynisch.
„Wir sind an der Wand entlang und es waren weniger Autos hier“, stammelte ich kaum noch hörbar.
Seine Selbstbeherrschung verlierend, zog er brutal an meinen Haaren und sein hasserfüllter Blick brachte mein Herz für eine Sekunde zum Stillstand. „Du lügst“, zischte er unterstellend. „Du wagst es mich zu belügen“, brüllte er los und seine Stimme grollte durch die Tiefgarage und ließ die Wände aus Beton erbeben.
Sollte er es eigentlich nicht besser wissen? Eigentlich. Ich schloss die Augen und horchte in mich hinein. Ich fühlte seinen Zorn, der ihn blind für alles und jeden machte; seinen Hass auf mich und seinen Vater; seine Abscheu vor Menschen; das Verlangen Blut zu vergießen. Ich begann mich in der Grausamkeit seiner Seele zu verlieren. „Ich lüge nicht“, wisperte ich und wischte mir schnell mit zittrigen Händen die Tränen aus dem Gesicht. „Wir hielten uns an die Wand gedrückt und gingen nach …“ Der Erinnerung löste sich auf und wurde erst wieder deutlich vor der Wand, hinter der der Geheimgang lag. Ich sackte in mich zusammen und stieß die Luft in einem Zug aus. Dann sah ich ihm in die dunklen Augen, die gerade den Abgrund seiner Bösartigkeit offenbarten und mich gnadenlos hineinzogen. Angela hatte recht: Ich hätte nichts sagen dürfen. „Es tut mir leid“, murmelte ich.
Monrach musterte mich und dabei breitete sich eine Ruhe in ihm aus. Er sah sich wachsam um und zog mich wortlos weiter. Als wir an der hintersten Ecke der Tiefgarage angelangt waren, stoppte er. Hier parkten keine Autos, alles war verlassen. „Hier ist die Stelle, an der die Videoüberwachung dich und Angela zum letzten Mal aufgenommen hatte.“
Irritiert blinzelte ich ihn an und Schuldgefühle und fassungslose Wut stiegen in mir auf und vereinten sich zu einem tosenden Sturm. Es war, als würde mein Magen sich in einen Stein verwandeln. „Sie … wissen von dem Gang?“
Er neigte den Kopf. „Wie gesagt, hier seid ihr verschwunden. Ich dachte mir, dass es einen geheimen Zugang geben musste.“
Dumpf hörte ich seine Worte wie durch Watte hindurch und starrte die Wand an. Plötzlich war meine Erinnerung wieder klar und deutlich. Monrach löste seinen Griff und gegen das schlechte Gewissen ankämpfend, ging ich einige Schritte weiter. Da war sie, die Stelle. Wie damals Angela befühlte ich triste weiße Wand und schnell hatte ich die verborgene Vertiefung gefunden.
Mein Herzschlag hallte wie ein Echo meiner Angst durch die Tiefgarage. Ich hielt inne. Durch diesen Gang hatte Angelas Freund Jessica befreien können. Ich nehme dem Widerstand nun die Möglichkeit, den Menschen hier zu helfen. Ich bin eine Verräterin. Würgend musste ich mich an der Wand abstützen, um nicht ohnmächtig zu werden.
Doch dies wusste er zu verhindern. Plötzlich stellte er sich dicht hinter mich. Sein mächtiger Körper drückte auf meinen. Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken und er legte seine großen, rauen Hände über meine. „Zeig es mir“, raunte er mir befehlend ins Ohr.
Er übernahm die Kontrolle über mich und seine Finger halfen meinen, das letzte Puzzelstück des Geheimnisses preiszugeben. Er drückte bestimmt gegen meine Finger und langsam öffnete sich die Geheimtür. Sachte zog er mich ein Stück zurück und ich fühlte den Luftzug, der aus dem Gang herauskam, kühl auf meiner Haut.
Der Vampir schwieg und starrte in die Finsternis hinein. Nach einiger Zeit entwich ein tiefes, gefährliches Knurren seiner Kehle. „Diesen Gang hat dir Angela Baur an diesem Abend gezeigt.“ Bejahend nickte ich. „Ohne dass sie dich lang genug kannte. Du hättest es mir bereits am nächsten Tag sagen sollen.“
„Ich hatte es ihr versprochen.“
Sein wütender Blick schoss zu mir und fesselte mich. In ihm tobte es und ich wusste nicht, mit welchen Auswirkungen ich in den nächsten Minuten zu rechnen hatte. „Und nun brichst du es trotzdem. Ich hoffe, du merkst dir dies für die Zukunft. Früher oder später wirst du mir alles sagen. Ich empfehle dir allerdings, es früher zu tun.“
Mit einem Grollen verschloss er den Gang wieder, packte mich erneut am Arm und zerrte mich zurück in den Steinsaal.

Als wir den Saal betraten, fingen mich sofort Angelas Augen ein. Ich hatte sie enttäuscht. Brennend ruhte ihr vorwurfsvoller Blick auf mir. „Was hast du nur getan?“, schluchzte sie und ihre Worten fühlten sich wie ein Schlag ins Gesicht an.
„Es tut mir leid“, entschuldigte ich mich flüsternd.
„Ach halt die Klappe“, ihre Augen funkeln zornig. „Wie konntest du nur mich, Jessica, David und all die anderen Menschen an dieses Monster verraten? Wie konntest du nur?“
„Nicht doch meine Damen“, höhnte Monrach. „Fanny hat heute das einzig Richtige getan. Vielleicht hätten Sie sich einen anderen Plan ausdenken sollen, Miss Baur. Fanny gegen mich auszunutzen war dreist. Ich wundere mich, dass Sie ihr blind das Vertrauen schenkten. Lag es tatsächlich nur daran, dass Fanny meine neue Assistentin war? Oder daran, dass die Frau fürchterlich naiv ist, dass es einem schon fast körperliche Schmerzen bereitet.“
Angela schluckte hart und presste die Lippen fest zusammen. Sie hatte nicht vor, ihm auf die Frage zu antworten.
„So so, Sie glauben noch immer, sich mir widersetzen zu können.“ In Monrachs Augen loderte das Feuer der Hölle auf, als er begann, wie ein Raubtier seine Kreise um Angela zu ziehen. Selbst Kommandant Dan Franko versteifte sich und trat einige Schritte von ihr zurück. Angela begann zu zittern und ein lauter Schluchzer schüttelte sie durch.
Er tötet sie gleich! „Sir bitte“, flehte ich erneut. „Sie haben gewonnen.“ Entgeistert starrte er mich an. „Es ist nicht nötig Angela zu töten. Sie ist ihre Gefangene, und kann auch niemanden mehr warnen. Sie haben nun auch dem Widerstand gegenüber einen Vorteil. Der Geheimgang … Sie können ihn schließen oder den Leuten eine Falle stellen. Bitte töten Sie sie nicht.“
„Er hat recht. Deine Naivität tut tatsächlich weh“, keifte Angela mich nun an. „Du bittest ihn um Gnade? Er ist ein Monster, hast du das noch nicht begriffen?“
„Er …“, ich schloss die Augen, um meine rasenden Gedanken zu sammeln. „Ja er ist … er hat viele schlimme Dinge getan. Aber ich weiß auch, dass er entgegenkommend sein kann.“
„Entgegenkommend? Hast du den Verstand verloren? Er hat meine ganze Familie getötet. Sogar meine Tante, die gerade ein unschuldiges, neues Leben in sich trug.“ Ihre Stimme überschlug sich nun.
Familie? Die Berns. „Was bedeutet das?“ Mir lief es heiß und kalt den Rücken hinab.
„Du bist so selten dämlich, dass es unglaublich leicht war, dich für meine Zwecke zu benutzen, denn mir fehlte die Zeit um wählerisch zu sein“, giftete sie weiter.
Ich verlor fast den Halt unter meinen Füßen.
Monrach lachte auf und zog mich dicht an sich heran. „Die Berns. Miss Baur ist wie du, Kleines“, raunte er mir ins Ohr. „Ein wertloser Blutbastard.“
Überrascht riss ich die Augen auf, um mir im nächsten Moment die Hände vor das Gesicht zu schlagen. „Sie erinnert sich wie ich an die verschwundenen Menschen, richtig?“ Angela ist wie ich. Ein Mensch mit den Genen eines Vampirs. „Daher wirkt das Serum auch bei ihr nicht“, fasste ich kaum hörbar zusammen.
Monrach lachte boshaft auf. „Ja. Genau das war auch der wahre und einzige Grund, weshalb sie sich mit dir angefreundet hat. Sie hat dich nur benutzt, da du Zugang zu meinem Büro hattest. Nicht wahr, Miss Baur? Sagen Sie ihr die Wahrheit, dass ihre Freundschaft nur eine Lüge ist.“
„Sie ist ein Monster ebenso wie Sie. Sie war nur Mittel zum Zweck. Wenigstens konnte Jessica aus ihren Klauen befreit werden.“
Ich war wie benommen. „Geht es ihr gut?“, fragte ich mit zittriger Stimme nach.
Angelas Blick wurde traurig und füllte sich mit Tränen. „Seine Lakaien hatten ihr schon zu viel Blut abgenommen. Sie starb an dem Abend als ich sie besuchte in meinen Armen. Allerdings starb sie als freier Mensch. Und das ist mehr, als du am Ende bekommen wirst. Du hast es verdient bei ihm zu leben. Und wenn er dich letztendlich tötet hoffe ich, dass du zur Hölle fährst.“
Jedes einzelne Wort, riss mir den Boden unter den Füßen weg. Sie hasste mich. Ich hatte sie verraten. Bin ich tatsächlich ein Monster wie er?
„Genug der Worte. Und Fanny“, er sah mir tief in die Augen. „Deine Meinung über mich überrascht mich, doch du irrst dich.“ Mit einem Ruck stieß er mich zu Boden und packte Angela am Hals. „Angela grüßen sie mir Bern in der Hölle“, flüsterte er ihr ins Ohr und im nächsten Moment bohrte sich seine Hand durch ihren Brustkorb. Ihr entkam ein hustendes Keuchen und ihre Augen weiteten sich. Todesangst sah mir entgegen. Lachend riss er ihr das Herz heraus.
Ich schrie aus Leibeskräften, um dem lähmenden Entsetzen zu entkommen, und Sturzbäche an Tränen strömten über mein Gesicht. Angelas toter Körper fiel lautlos zu Boden und Monrach ließ ihr Herz achtlos daneben fallen.

Kapitel 2

– Fanny –

Meine Glieder waren stocksteif, als ich auf dem schwarzen Ledersofa in Monrachs privatem Arbeitszimmer erwachte. Obwohl ich geschlafen hatte, fühlte ich mich erschöpft, ausgelaugt. Ich hatte das Gefühl, als hätte sich mein Mund in den letzten Stunden in eine staubtrockene Wüste verwandelt. Hinzu kamen fürchterliche Halsschmerzen. Ich spürte, dass Monrach ganz in meiner Nähe war, daher hielt ich die Augen geschlossen und stellte mich weiterhin schlafend.
Meine Freundin ist tot! Wie ein Donnerschlag kamen die Erinnerungen und ihre Worte zurück, und rissen erneut mein Herz auseinander. Sie spielte mir ihre Freundschaft nur vor. Tränen schossen mir brennend in die Augen und ihre Worte vermischten sich mit weiteren Erinnerungen an unsere Gespräche. Ich wusste nicht mehr, was ich glauben sollte. Egal. Er hat sie getötet. Wir reden nie wieder miteinander. Unweigerlich schlang ich die Arme fester um mich und biss meine Lippen zusammen, um nicht erneut laut loszuschreien.
Nach einer Weile hörte ich, wie sich Monrach grollend hinter mir erhob und erstarrte, dabei hielt ich die Luft an. Doch er kam nicht zu mir, sondern verließ den Raum. Sobald die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, öffnete ich meine Augen und wartete und lauschte. Ich rechnete damit, dass er jede Sekunde zurück sein würde, doch die Zeit verging und er kam nicht wieder. Irgendwann hatte ich genügend Kraft, um mich aufzusetzen und umzusehen. Auf seinem Schreibtisch herrschte ein heilloses Chaos. Eine angebrochene Flasche Whisky stand zwischen Schreibtischlampe und Laptop, etwas abseits, das dazugehörige leere Glas.
Tief atmete ich ein und konnte nichts gegen den Schluchzer tun, der mich einmal kräftig durchschüttelte. Ich wusste, ich sollte aufstehen, mich bewegen, irgendetwas tun, doch das Grauen in meiner Seele lähmte mich, drückte mich nieder und hielt mich auf dem Sofa fest. Ehrlich gesagt, bezweifelte ich in diesem Augenblick, mich jemals wieder bewegen zu können. Er würde zurückkommen, mich so vorfinden, zornig werden und mich töten; mir das Herz herausreißen, wie er es bei Angela getan hat. Augenblicklich wurde mir speiübel und ich musste würgen.

Das Aufgehen der Tür hinderte mich daran, mich zu übergeben. Der leichte Luftzug, der mich im Gesicht traf, versetzte mich sogleich in Panik. Automatisch drehte ich mich der Tür zu. Im ersten Moment dachte ich, das Monster kam zurück, doch dann registrierte ich, dass sein Bruder, Nithard Monrach, hereinkam. Er trug einen grauen Nadelstreifenanzug mit weißem Hemd und sah sich um. Schließlich schenkte er mir ein freundliches Lächeln. „Entschuldigen Sie, Frau Raigen. Ich bin bedauerlicherweise auf der Suche nach meinen Bruder. Wissen Sie wo ich ihn finde?“
„Er …“, krächzte ich mit heiserer Stimme und war kaum fähig, den Satz zu beenden. „Er ist nicht hier.“
Nithard musterte mich lange und eindringlich, schließlich ging er einige Schritte auf mich zu. „Es geht Ihnen nicht gut oder? Was ist passiert?“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Er muss gehen! Ich sah zu Boden und schüttelte den Kopf.
Der Vampir lächelte mich voller Mitgefühl an und in seine Augen trat ein trauriger Ausdruck. „Willkommen in meiner Welt“, sagte er matt und seine Worte jagten mir einen eisigen Schauder über den Rücken.
Ich spürte seinen Blick auf mir, brachte es aber nicht über mich, ihn anzusehen. Er ist auch ein Vampir, schoss es mir durch den Kopf und gleichzeitig erinnere ich mich daran, wie er das frische Blut auf der Farm in diesem Gebäude gekostet hat. Er hat mir dabei direkt in die Augen gesehen.
„Es ist besser, wenn ich gehe“, holte er mich aus meinen Gedanken zurück. „Oskar flippt aus, wenn er uns hier zusammen sieht. Es ist sein privater Raum, sein Reich in unserem Haus. Merkwürdig nicht wahr, dass wir alle in einem Haus zusammen wohnen, obwohl wir uns hassen und nichts lieber täten, als uns gegenseitig umzubringen.“ Lachend schüttelte er den Kopf. „Wie auch immer“, mühsam wandte er sich zum Gehen. Doch kurz vor der Tür hielt er abermals inne. „Frau Raigen“, sein Tonfall ließ mich den Blick heben. „Ich fände es sehr schade, wenn Oskar Sie tötet. Daher meine Bitte, reizen Sie ihn nicht. Diese Welt wäre wieder dunkel ohne Sie.“
Was soll das nun wieder bedeuten? Unsicher nickte ich ihm zu, wofür ich ein weiteres Lächeln von ihm geschenkt bekam, bevor er mich alleine ließ.

Merkwürdig. Das traf es. Alles hier in diesem Gebäude, in meinem Leben war plötzlich merkwürdig und zu einem Albtraum geworden. Die Monrachs waren das Merkwürdigste und Grausamste, was ich je kannte. Dass sie sich als Familie bezeichneten, obwohl sie nur Hass füreinander empfanden, war bizarr – merkwürdig.
Es schien, als hätten sich das Monster und sein Bruder die Türklinke in die Hand gegeben, denn kaum war Nithard gegangen, kam Monrach bereits zurück. Ich fühlte ihn bereits lange, bevor er ihr „Haus“ betreten hatte. Verwundert nahm ich zur Kenntnis, dass seine Stimmungslage relativ ruhig war – beinahe ausgeglichen. Ein Zustand, der mich für eine Sekunde kurz hoffen ließ.
Allerdings, so bald er die Tür zu seinem Arbeitszimmer öffnete, durchzog sich ein Wechsel in ihm. So schnell, so schlagartig, dass es sich anfühlte wie ein Kinnhaken. Seine Gesichtszüge verhärteten sich und seine Augen verzogen sich zu teuflischen Schlitzen, die Hände ballten sich zu tödlichen Fäusten. Bösartig fauchend betrat er den Raum und seine vor Wahnsinn funkelnden Augen suchten nach dem Feind.
Ich bin nicht der Feind. Bitte lass mich nicht der Feind sein. Mein Herz überschlug sich, die Angst erlöste mich aus der Schockstarre und hastig sprang ich vom Sofa auf.
„Wo ist er?“, zischte er drohend.
Monrach war zwei Köpfe größer als ich, doch wie er so außer sich auf mich zugestürmt kam, ließ ihn wie einen zehn Meter hohen Riesen wirken. Eingeschüchtert zog ich den Kopf ein und hielt meine zitternden Hände fest ineinander verschlungen. Er erreichte mich schnell – viel zu schnell. Tief atmete er die Luft ein und abrupt erstarrte er. Ein bösartiges Knurren entwich aus der Tiefe seiner Kehle. „Ihr Bruder hat Sie gesucht“, flüsterte ich und sah wieder zu Boden. Gegen die Tränen war ich machtlos, welche sich nun aus meinen Augen stahlen. „Sie haben ihn nur um ein paar Minuten verpasst.“
„Hier?“, brüllte er mich fassungslos an.
Ich nickte, traute mich jedoch nicht ihn nochmals anzublicken. Ich fühlte seinen Hass, seinen Zorn, seine Grausamkeit, tief in mir, daher musste ich sie nicht noch in seine Augen sehen. Erneut löste sich ein weiterer Teil meiner Selbst darin auf.
Reizen Sie ihn nicht, hörte ich plötzlich Nithards warnende Worte in meinen Ohren. Doch leider reizte ihn bereits meine bloße Anwesenheit. Ich hoffte nun inständig, dass der Sturm in ihm, soweit dies möglich war, spurlos an mir vorüberzog.

– Oskar –

Diese hinterhältige Schlange lässt ja nichts anbrennen. Weshalb hatte ich Fanny auch alleine gelassen? Zornig schritt ich vor ihr auf und ab und versuchte mich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Diesmal hat sie nichts falsch gemacht. Immer und immer wieder wiederholte ich diesen Satz, rief mir diese Tatsache ins Gedächtnis zurück und trotzdem hatte ich das kaum zu beherrschende Bedürfnis meinen Groll an ihr auslassen. Es war eine pure Provokation von Nithard, eine geschickt eingefädelte Provokation.
Aus den Augenwinkeln heraus betrachtete ich meinen persönlichen Quälgeist, sie stand in sich zusammengesunken neben dem Ledersofa und wartete darauf, dass ich mich beruhigte. Ich konnte die Angst vor meiner nächsten Handlung in ihren Augen sehen. Fanny zitterte wie Espenlaub, gleichzeitig ertrank sie in Trauer und Verlorenheit. Sie war sich deutlich bewusst, dass ihre bloße Anwesenheit mich zur Weißglut trieb, daher traute sie sich nicht, mich anzusehen und starrte stur zu Boden. In diesem Moment war das widerspenstige Feuer ihrer Seele nur ein kleines, bedeutungsloses Flämmchen, dass zu wenig Kraft hatte, um ihr Mut zu verleihen. Ich musste zugeben, so gefiel Fanny mir. Still fügte sie sich in ihrem Platz im Leben ein. Diese Erkenntnis ließ mich nun tatsächlich ruhiger werden. Ein kaum sichtbares Lächeln umspielte meine Lippen. „Folge mir“, forderte ich sie auf, als ich an ihr vorbei und auf das deckenhohe, sich über die gesamte Wandbreite erstreckende Bücherregal vor uns zu ging.
Fanny schluckte schwer und atmete anschließend angestrengt durch, bevor sie meiner Anweisung nachkam. Sie zwang mich, auf sie zu warten, daher blieb ich vor dem Regal stehen und drehte mich ihr zu. Geduld war noch nie eine meiner Stärken und sie stellte diese schon wieder auf die Probe. Automatisch verengten sich daher meine Augen. Mein Blick traf ihren und sofort wurde sie unsicher. Nur widerwillig schloss sie zu mir auf.
Ich sparte mir jeden Kommentar und griff nach einem versteckten Hebel, der sich in einem Buch mit dunkelbraunem Einband versteckte. Auf dem Buchrücken stand in goldenen Serifen Ilias Homer. Ein leises Klicken war zu hören und die Bücherwand teilte sich. Dahinter verbarg sich ein heller Flur, der in einem Halbkreis um mein Arbeitszimmer herum in ein Wohnzimmer führte. In dessen Außenwand war ein Panoramafenster eingelassen, das einen atemberaubenden Blick auf das unter uns liegende New York City gewährte.
Heute war ein herrlicher Sommertag wie aus dem Bilderbuch, daher konnte man über die halbe Stadt blicken. Die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel und ihre hellen Strahlen ließen den Staub in der Luft tanzen.
Fanny stieß überwältigt die Luft aus und stolperte über ihre eigenen Füße. Gerade noch so konnte ich verhindern, dass sie zu Boden ging. Ungerührt schob ich sie vorwärts. Sie hatte noch genug Zeit sich an dem Ausblick zu erfreuen. Mehr als genug. Ihre blaugrünen Augen wanderten über die Einrichtung und blieben schließlich wieder an dem Fenster hängen.
Zeit ihr das neue Zuhause zu erklären. „Hinter der ersten Tür befindet sich mein Schlafzimmer mit angrenzendem Ankleideraum“, ich deutete mit dem Zeigefinger auf die nächstgelegene Tür links. Ihr Blick folgte meiner Hand bis zur nächsten Tür in der Mitte. „Dort die Küche mit einem kleinen Essbereich und“, ich drehte mich mit ihr um die eigene Achse und zeigte auf die dritte Tür. „Hier befindet sich das Bad und dies hier ist das Wohnzimmer. Mein Arbeitszimmer vorne kennst du ja bereits.“
Fanny nickte schweigend.
„Das hier ist dein neues Zuhause. Du wirst dich zukünftig ausschließlich hier in meinen privaten Gemächern aufhalten. Es ist deine Aufgabe, dich um den Haushalt zu kümmern. Der Kühlschrank ist voll, du bereitest das Essen vor und lass dir gesagt sein, ich esse hauptsächlich Fleisch.“ Ungläubig blinzelte sie mich an und in ihren Augen spiegelte sich Verwirrung und Fassungslosigkeit wider, bevor die Angst zurückkam. „Gibt es irgendein Problem?“
Sie öffnete den Mund, irgendetwas brannte ihr auf den Lippen, doch dann besann sie sich und schluckte das, was sie sagen wollte hinunter und schüttelte den Kopf. Gut so Kleines. Du lernst es langsam. Das Klingeln meines Handys unterbrach uns. Ohne sie aus den Augen zu lassen nahm ich den Anruf entgegen.
„Oskar verflucht wo steckst du“, fauchte mein Vater grimmig und seine Stimme zerrte an meinen Nerven.
„Was willst du?“, knurrte ich zurück.
„Komm in mein Büro. Sofort!“ Erebos ließ keinen Widerspruch zu und unterbrach die Verbindung.
Wütend steckte ich das Handy zurück in die Tasche. Ich hasste es springen zu müssen, wenn mein Vater es verlangte. Ohne eine Erklärung ließ ich Fanny in meinem kleinen geheimen Reich zurück und verriegelte den Zugang. Sie sollte bleiben, wo sie war und auch von niemandem gestört werden.

Kurze Zeit später erreichte ich Erebos Büro. Dort wartete er zusammen mit Nithard auf mich. Der Gestank meines Bruders kam mir bereits entgegen, als ich aus dem Aufzug stieg. Mit einem Grollen klopfte ich an Vaters Bürotür an.
„Herein“, drang Erebos nevenzerrende Stimme durch das Holz.
Fest ballte ich die Hände zu Fäusten und atmete ein letztes Mal tief durch, bevor ich eintrat. Nithards Miene war wie immer regungslos, doch in seinen grauen Augen sah ich ein triumphierendes Funkeln. Was hat er vor? Scharf sog ich die Luft ein und spannte meine Schultern, wappnete mich gegen das Kommende.
„Schön, dass du Zeit gefunden hast, uns mit deiner Anwesenheit zu beehren, Oskar“, begann Vater spöttisch und seine Augen sprühten mir seine Verachtung entgegen. „Ich mach es kurz. Aufgrund der jüngsten Ereignisse habe ich beschlossen, dass du mit Nithard die Aufgabenbereiche tauscht.“
Aufgabenbereiche tauschen? Erebos entmachtet mich! Glühendheiß schoss der Zorn durch meine Venen und ich konnte förmlich spüren, wie mein Hals dick wurde und die Adern hervortraten. Meine Hände begannen zu beben. Dröhnend rauschte das Blut in meinen Ohren und pulsierte schmerzhaft in meinem Kopf.
„Ab sofort ist Nithardt meine rechte Hand und du bist aus der Regierungsarbeit bis auf Weiteres ausgeschlossen. Sollten Fragen bezüglich der Sicherheit bestehen, werden wir uns an dich wenden.“
Mit einem fetten Grinsen im Gesicht überreichte mir die Pestilenz einen Stapel Akten. „Das ist der Vorgang zur Inbetriebnahme der Fabriken. Leider befinden wir uns im Verzug. Jedoch gehe ich davon aus, dass das kein Problem für dich darstellen wird großer Bruder, und du den Zeitplan einhalten wirst.“ Wie paralysiert nahm ich die Akten entgegen. „Stelle bitte deine Fälle zusammen. Ich werde sie mir in drei Stunden abholen. Solltest du zu beschäftigt sein kein Problem. Frau Raigen ist sehr kompetent, du solltest ihre Fähigkeiten nicht verschwenden, indem du sie einsperrst. Wenn ich es mir recht überlege, wäre die Übergabe mit ihr sehr angenehm.“ Sein Grinsen wurde nun anzüglich und er leckte sich begierig die Lippen.
Ich konnte das dunkle, bedrohliche Knurren, das meiner Kehle emporstieg, nicht zurückhalten. Wehe er fasst mein Eigentum an!
Doch er fühlte sich unter dem Schutz von Erebos sicher, weshalb er sich nicht einschüchtern ließ wie sonst. Süffisant klopfte er mir auf die Schulter. „Drei Stunden Bruder.“ Erhobenen Hauptes ließ er mich und Erebos alleine zurück.
Erebos hatte sich unterdessen in seinem Schreibtischsessel zurückgelehnt und genoss das Schauspiel meiner Demütigung in vollen Zügen. Amüsiert betrachtete er mich.
„Dir ist klar, dass Nithardt scheitern wird“, zischte ich ihn an.
Er bedachte mich mit einem väterlichen Lächeln. „Oskar, falls du es noch nicht gemerkt hast, deine Zeit ist vorbei – akzeptiere es und füge dich. Und nun geh mir aus den Augen.“

Wie ich den Weg von Erebos Büro in mein Arbeitszimmer in unserem Haus zurückgelegt hatte, wusste ich nicht. Plötzlich stand ich am ganzen Körper bebend zwischen meinem Schreibtisch und dem Kamin. Er hat Nithard zu seiner rechten Hand gemacht! Ich bin entmachtet! Mein Blick war getrübt und die Umgebung hatte einen leuchtend roten Schimmer angenommen. Ich glich einem Vulkan, der dem Druck der glühenden Lava nicht mehr standhalten konnte. Zorn und Hass entluden sich in einem ohrenbetäubenden Brüllen und ich schmiss die Akten auf meinen Schreibtisch. Durch die Wucht des Aufpralls rutschte ihr Inhalt heraus und verteilte sich über all auf dem Boden.
Wie konnte Vater das tun? Plötzlich hörte ich Fannys panischen Herzschlag durch die dicken Betonwände. Wegen ihr. Sie war der Grund, weshalb er mich strafend demütigte. Das büßt sie mir jetzt. Entschlossen ihr die größtmöglichen Schmerzen zu bereiten, stürmte ich wie wahnsinnig auf das Bücherregal zu und öffnete die Tür. „Du dreckiger Blutbastard“, schrie ich in den Wohnbereich hinein. Ich hörte ihren viel zu hektischen Atem, ihr leises Wimmern. Tief sog ich die Luft ein und ihr Geruch nahm mir den letzten Rest an Kontrolle.
Sie versuchte doch tatsächlich sich vor mir zu verstecken. Erbärmlich. Schnell hatte ich sie in der Küche gefunden. Sie saß zusammengekauert und zitternd unter dem Tisch und ihre Augen waren rot vom Weinen. Als sie mich sah, erstarrte sie und ihr Atem stockte. Ich griff nach ihrem Fuß, zerrte sie unter dem Tisch hervor und zog sie an den Haaren auf die Beine. Für einen Augenblick sah Fanny mir in die Augen und im nächsten Schloss sie ihre Lider. Sie machte sich bereit zu sterben. Ich lege meine Hand bereits an ihre Kehle, um meinem tödlichen Impuls zu folgen. Spürte ihren viel zu schnellen Puls unter meinen Fingern. Gleichzeitig lud sich meine Stärke an ihr auf und ich glaubte in Flammen zu stehen. Zorn und Gier ließen mich scheinbar lichterloh brennen.
Du verlierst, wenn du sie jetzt tötest, hörte ich Gabriellas Stimme in meinen Gedanken. Du verlierst, die Stärke und die Möglichkeit Erebos zu stürzen, für immer. Das vertraute glockenhelle Lachen stieg an und endete in einem schrillen Kreischen, dass meinen Kopf zu zerbersten drohte.
Ich stieß Fanny von mir weg und rannte los, stürmte aus meiner Wohnung hinaus, um mir ein anderes Opfer zu suchen.

 

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