Kapitel 2 Zola

Leo, es tut mir leid – wirklich. Aber das Seminar ist wichtig für mich.“

Genervt rollte er mit den Augen, ohne sich zu bemühen, es zu verbergen. „Du und dein merkwürdiger Selbstfindungstrip.“ 

Tief atmete Zola ein. „Es ist Osteopathie und Chiropraktik, Leo“, antwortete sie schärfer als beabsichtigt. 

Er hielt inne, fixierte sie mit seinem Blick. Zola sah, dass er kurz davor war seiner Wut freien Lauf zu lassen und loszubrüllen wie ein Löwe. Seine zusammengepressten Kiefer knirschten. „Am Samstag ist die goldene Hochzeit meiner Großeltern. Der Termin steht seit Monaten. Wir beide werden dort erwartet.”  Er kämpfte sichtlich darum seine Stimme ruhig zu halten. “Kannst du das Seminar nicht an einem anderen Termin buchen?“ 

„Es ist der letzte Termin in diesem Jahr. Leo, ich hatte Glück überhaupt noch einen Platz zu bekommen.“

Zornig stieß er einen unverständlichen Fluch aus. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass vernünftige Leute freiwillig in die Wildnis fahren, um ein Wochenende mit diesem Quacksalber zu verbringen. Und dafür auch noch bezahlen.“ Er machte eine kurze Pause. „1000 $“, er spieh den Betrag regelrecht aus. 

„Keine Sorge, ich habe das Geld bereits erarbeitet …“ 

„Als Masseurin und Yogatante“, antwortete er verächtlich. 

Zola zuckte zurück, seine Worte trafen sie wie ein Schlag ins Gesicht. „Physiotherapeutin, Leo.  Ich bin Physiotherapeutin“, erwiderte sie leise. 

„Dafür hast du das Medizinstudium hingeworfen?“

Eine eisige Stille trat zwischen das Liebespaar. Wieso verstand er sie nicht? Zola schloss kurz die Augen und antwortete: „Ich habe nicht hingeworfen, sondern pausiere. Ich versuche herauszufinden, wer ich bin, wer ich sein will und was ich von diesem Leben erwarte.“

„Und wer bist du, Zola? Wann hast du dich gefunden? Wann wirst du wieder vernünftig? Wann wirst du auf meinen Heiratsantrag antworten?“ 

Zolas Augen begannen verräterisch zu brennen. „Leo, das ist jetzt nicht fair.“ 

Er machte einige Schritte auf sie zu, als könnte er damit die emotionale Distanz, die sich zwischen ihnen in den letzten Monaten entwickelt hatte, überwinden. „Ich verstehe ja, dass dich der Tod deines Vaters aus der Bahn geworfen hat. Aber allmählich solltest du dich wieder einkriegen. Du wirfst deine Zukunft weg und uns. Ist dir das bewusst?“

Zolas Hände bildeten sich zu Fäusten und begannen zu beben, dieses Beben breitete sich schnell auf ihren Oberkörper aus, wie ein Lauffeuer. Wie oft hatten sie beide über dieses Thema gestritten? Wie oft hatte sie aufgegeben Leo zu erklären, dass sie bereits Wochen vor dem Tod ihres Vaters ausgebrannt war vom Stress des Studiums. Sie war nur noch müde und gereizt, nicht mehr sie selbst. Es war ihr Vater, der ihr vorgeschlagen hatte, das Studium zu pausieren und er war es auch, der ihr auf die Schnelle den Ausbildungsplatz zur Physiotherapeutin besorgt hatte. Leo ignorierte diese Tatsache mit aller Macht. 

Zola liebte ihren Vater von jeher sehr, doch nach dieser Hilfe noch mehr. Er war ihr bester Freund. Eine Träne kullerte über ihre Wange. Die Sehnsucht nach ihm, nach seiner Stimme, seinem Rat, schnürte ihr die Kehle zu. „Leo du verstehst nichts“, keuchte sie. „Ich muss packen, entschuldige mich.“ Sie lief an ihm vorbei ins Schlafzimmer und ließ die Tür krachend ins Schloss fallen, während sie hektisch ihre Sachen für das Wochenende zusammen suchte. Sie musste weg, weg von Leo, weg von den Erwartungen an sie. Einfach raus aus der Stadt und den Kopf freibekommen. 

 

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